Der alte Mann und das Nebelmeer - Auf der Isle of Skye in Schottland

27.07.2016 11:01

Der alte Mann wartet auf mich. Stoisch und unbeirrt steht er im Regen. Er lässt sich nichts anmerken, zeigt keine Ungeduld, keine Hetze, Seit Tausenden von Jahren nicht. Denn der Old Man of Storr ist eine Felsnadel aus Basaltgestein, 48 Meter hoch, auf der Isle of Skye im Westen von Schottland. Wie ein alter Mann steht sie neben dem Gipfel des Storr, unverwüstlich, im schnell ziehenden Nebel manchmal nur schemenhaft zu erkennen. Es gibt viele Legenden, die den Ursprung des Old Man erklären wollen: Einmal ist es ein Mann, der von Feen in Stein verwandelt wurde, ein andermal soll es sich um den Daumen eines Giganten handeln, der hier unter der Erde begraben liegt. In der schottischen Folklore setzt man auf mystische Wesen - es Regen und Wind zuzuschreiben, hier einen solchen Monolithen entstehen zu lassen, wäre nicht angebracht.     

Am Old Man of Storr auf der Isle of Skye. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Den Felsen zu finden ist nicht schwer: von Weitem schon ist er von der Straße aus zu sehen, am Parkplatz erläutern Schilder seine Geschichte, seinen Ursprung. Ein Schotterweg führt ein Stück zu ihm hoch, dann durch ein paar Gatter, einen Trampelpfad entlang, durch Matsch und über Wiesen. Die Sonne versteckt sich. Ein Scheißwetter, kann man sagen. Doch ich will zum alten Mann, diesem berühmten Steinturm, der auch schon Schriftsteller und Regisseure verzückte, darunter Ridley Scott, der ihn in seinem Alien-Film "Prometheus" verewigte. 
 
Am Old Man of Storr auf der Isle of Skye. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Die Schuhe werden immer dreckiger, ein paar Schweißperlen stehen auf meiner Stirn. Oder sind es doch Regentropfen? Den Hügel geht es hinauf, stufenartige Felsen mischen sich mit Pfützen und Schlammpassagen. Wenigstens sind heute keine Midges unterwegs, diese kleinen, lästigen, beißenden Insekten, die mich bei Glenfinnan schier in den Wahnsinn trieben. Kein Insekt tummelt sich bei diesem Wind beim alten Mann. Nur einige Schafe grasen weit entfernt und unerschütterlich das grüne Gras ab, ihr eigentlich weißes Fell hat schon fast den grauen Farbton der Wolken angenommen. Die auffälligsten Farbtupfer hier sind andere Wanderer in ihren grellbunten Outdoor-Jacken, die sich ebenfalls auf den Weg gemacht haben. Der Old Man ist eine der Hauptattraktionen auf der Insel, die vor allem bei Landschaftsliebhabern punktet.  
 
Am Old Man of Storr auf der Isle of Skye. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Der Weg ist weiter als gedacht - der baumlose Berghang schönt die Perspektive und lässt einen die Distanz unterschätzen. Allein die Menschen, die in der Entfernung immer kleiner werden, vermitteln die ungefähre Größe der Felsnadel. Irgendwann, nach vielen Pausen zum Fotografieren der grandiosen Landschaft, habe ich den alten Mann erreicht. Grau und schroff ragt er direkt vor mir auf wie eine Wand. Je näher ich herantrete, desto mehr verschwindet seine Eigentümlichkeit. Erst die Entfernung macht das Außergewöhnliche deutlich. Ich fühle mich winzig. Der alte Mann redet nicht, wie könnte er auch? Doch wie ein Flüstern klingt der Wind, der um seine rauen Seiten zischt. Wer hier wohl schon alles stand und sich über das Wetter beklagte...? 
 
Am Gipfel des nächsthöheren Berges, mit grandioser Sicht über die Halbinsel und den Old Man, fühle ich mich wie der Wanderer über dem Nebelmeer. Das gleichnamige Bild kommt mir in den Sinn. Von Caspar David Friedrich 1818 gemalt, hält es seitdem für Werbung her, wurde unzählige Male kopiert, geändert, neu interpretiert. Ein Mann, einsam auf einem Felsen, in die Ferne starrend. Kitschig geradezu, aber doch irgendwie fesselnd. Und hier, auf der rauen Isle of Skye, wird dieses abgeschmackte Bild auf einmal lebhafte Realität. Schroffe Felsen, merkwürdige Wolkenformationen, Nebel - und der selbstvergessene Blick irgendwo weit nach draußen. Ich träume mich nicht nur an einen Ort des Erhabenseins, ich stehe selbst dort, wo das Schöne und Ursprüngliche der Natur in seiner ganzen Pracht vorhanden ist. 
 
Am Old Man of Storr auf der Isle of Skye. Foto: Wolfgang Bürkle

 

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