Die Freiheit des Reisens - Die Unfreiheit der Flucht

02.09.2015 11:40

Laut einer App, die ich installiert habe, komme ich mittlerweile auf über 50 Länder und über 430 Städte (Stand: September 2015) - damit habe ich bislang 36 Prozent der Welt bereist. Ich bin mir ziemlich sicher: Das ist jetzt schon mehr, als die meisten Menschen auf dieser Welt jemals sehen werden. Und wahrscheinlich auch sehen können. Denn sie haben nicht die Freiheit, mit einem Pass überall dorthin reisen zu können, wo sie gerne hin möchten. Sie haben auch nicht das Geld, um sich solche Reisen zu leisten. Für uns Deutsche hingegen gibt es fast kein Limit. Wir haben die Chance, überall dorthin zu gehen, fahren und fliegen, wo wir hin möchten. In vielen anderen Ländern ist ein Pass keine Selbstverständlichkeit - und Reisen schon gar nicht. 

Vor einer Schule in Laos. Foto: Wolfgang Bürkle

Ich weiß noch, wie wir versuchten, Freunde von unserem YMCA-Partnerverein in Ghana nach Deutschland einzuladen. Natürlich nur für ein paar Tage. Erst mussten sie sich vor Ort Pässe besorgen (dauert lang, kostet viel, ein bisschen Bestechung vielleicht dabei), dann mussten wir hochoffiziell eine Einladung schriftlich formulieren und diese bei der Botschaft einreichen, damit sicher ist, dass wir für unsere Freunde bürgen und notfalls auch finanziell für diese gerade stehen. Nach dem bürokratischen Hin und Her sowie einer spannenden Reise (denn Ghanaer fliegen nicht so häufig...) konnten wir sie schließlich in Deutschland begrüßen. Ein Bekannter sagte dazu: Dieser Besuch ist für die Ghanaer wie ein Sechser im Lotto. Und einen solchen Eindruck bekam ich auch. Ich saß mit Paul etwa stundenlang am Segelflugplatz in Oppenheim - er wollte schon gar nicht mehr dort weg, so beeindruckt war er von den kleinen Maschinen. 
 
Wie ein schöner Traum müssen ihm die zwei Wochen bei uns vorgekommen sein. Wie ein Paradies, wo es im Supermarkt riesige Essensberge gibt, wo warmes Wasser aus der Wand kommt und es immer Strom gibt. Denn das war in seiner Heimat Hlefi, die ich 2005 besucht hatte, nicht immer der Fall. Es ging ihm zwar für afrikanische Verhältnisse nicht schlecht - aber Luft nach oben war noch viel. Ich kann verstehen, wenn Menschen, in deren Heimat es Armut, Kriege, Konflikte und Arbeitslosigkeit gibt, Mitteleuropa als Paradies interpretieren. Wenn sie dank des Fernsehens oder Internets sehen, wie das nächste Topmodel vor Heidi Klum über den Laufsteg wankt, wenn sie Kim Kardashian und die Geißens erleben. Sie blenden aus, dass es auch hier Neid und Streit gibt, dass es auch hier Arbeitslosigkeit und prekäre Lebenssituationen gibt. Doch ganz ehrlich: Unsere Probleme sind kein Vergleich zu einer Kalashnikov, die man in Kriegsgebieten vorgehalten bekommt. Und wenn irgendwo dort eine Patrone aus einem deutschen Gewehr abgefeuert wird, dann sind wir erst recht verpflichtet, zu helfen. Wir können nicht die Tür schließen und sagen, dass geht uns nix an.  
 
Mit Paul am Segelflugplatz in Oppenheim. Foto: Wolfgang Bürkle
 
In allen Ländern, die ich bislang besucht habe, wurde ich noch nie wegen meiner Haar- oder Hautfarbe angepöbelt. Niemand hat mich dort als Pack oder Abschaum beschimpft, dabei war ich überall dort ein "Ausländer". Ich traf fast immer nur auf freundliche und neugierige Menschen. Im Süden von Äthiopien nahm mich ein kleiner Junge einfach so an der Hand und begleitete mich über den Markt, ohne ein Wort zu sagen, oder etwas zu wollen. In Uganda riefen die Kinder überall "How are you" und nicht "Raus mit dem Pack". In Usbekistan bestand ein Vater darauf, ihn und seine wenige Monate alte Tochter zu fotografieren, so stolz war er, sie den Westlern zeigen zu können. Wie weltfremd erscheinen mir da Bilder von Menschen, die in Deutschland gegen Ausländer hetzen, oder Brandsätze in Heime werfen. Man muss natürlich sagen: Eine Flucht ist keine freiwillige Reise. Sie entsteht aus einer Not oder einer Bedrohung heraus. Eine Flucht ist der Versuch, wieder ein Stückchen mehr Freiheit zu erlangen. Doch die Flüchtenden sind unfrei in ihrer Entscheidung, welchem Schlepper sie ihr Leben anvertrauen, in welchem maroden Boot sie über das Mittelmeer schippern, in welchen Lkw sie eingepfercht werden. Sie riskieren ihr Leben, um ein bisschen von unserer Freiheit zu erlangen. Und genau deswegen sollten Flüchtlinge mit offenen Armen und einem Lächeln empfangen werden. So wie wir auf Reisen Freundlichkeit erleben, so sollte Freundlichkeit und Großherzigkeit auch hier auf Menschen aus aller Welt warten, egal ob reiche Scheichs aus Saudi-Arabien oder hungrige Kinder aus Eritrea.
 
Ein Junge in Äthiopien. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Ich könnte jetzt noch schreiben, wie Deutschland schon immer ein Land von Ein- und Auswanderern war (wir waren etwa Kelten, Germanen, Römer und Slawen), dass viele aus der damaligen DDR in jüngster Zeit auch geflohen sind, dass viele unserer Großeltern selbst Flüchtlinge oder Heimatvertriebene waren, dass sich Grenzen immer wieder verschieben und ändern, dass Kriege und Völkerwanderungen seit Jahrtausenden alltäglich sind. Oder dass die meisten Flüchtlinge in die direkt angrenzenden Länder fliehen, in der Hoffnung, zeitnah in ihre Heimat zurückzukehren. Oder dass sich niemand freiwillig herausgesucht hat, in einem Kriegsgebiet aufzuwachsen. Oder dass Bundesfinanzminister Schäuble deutlich sagt, dass die öffentlichen Haushalte die Kosten für die Flüchtlinge problemlos bewältigen können. Oder dass eine zügige Abschiebung von Nicht-Asylberechtigten gewährleistet sein muss. Oder dass wir gerne die knappen Ressourcen anderer Länder für uns (aus-)nutzen. Und muss man wirklich noch ergänzen, dass diejenigen, die sich daneben benehmen, eben auch den deutschen Rechtsstaat kennenlernen müssen, egal ob Deutsch oder Nicht-Deutsch?
 
Ein stolzer Vater in Usbekistan. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Asylrecht ist Menschenrecht - und ein Zuwanderungsgesetz wird kommen. Aber anscheinend hört bei den sogenannten Asylkritikern (oder eben Nazis) der geistige Horizont vor der Haustür auf. Es ist auch die Angst vor dem Unbekannten, die diese Menschen antreibt und gegen das sie sich zur Wehr setzen wollen. Ein gutes Gegenmittel: Das Reisen. Auch die Schuld für Terror, Krieg, Armut und Flüchtlinge jetzt bei Amerikanern, Islamisten, Frau Merkel oder anderen Fanatikern zu suchen, kommt zu spät. Jetzt geht es um Akzeptanz, Integration und ein Miteinander - so wie es viele Initiativen in ganz Deutschland, auch in Rheinhessen, vormachen: Sei es bei einem Kulturfest, bei einem Begrüßungskaffee oder in Sportvereinen. 
 
Es gibt noch fast 150 Länder, die ich mit meinem Pass bereisen kann. Die Menschen, die ihr Leben riskieren, um zu uns zu flüchten, würden sich wünschen, dieses Privileg zu haben. Das Privileg, in einem friedlichen und reichen Land geboren zu sein. Wer alles aufgibt, um ein neues Leben anzufangen, dem muss eben diese Chance gegeben werden. Vor allem bei uns in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt. Denn wir sind keine egoistischen Arschlöcher.
 
 
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#BloggerfuerFluechtlinge #RefugeesWelcome
 
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