Wenn der Riesling-Wagen rollt - Auf Weinbergsrundfahrt in Nierstein

30.09.2015 19:24

"Hoch auf dem gelben Wagen, sitz ich beim Schwager vorn ..."

Irgendwie geistert mit dieses uralte Lied durch den Kopf. Höchstwahrscheinlich liegt es daran, dass ich gerade selbst auf einem Wagen sitze. Aber der ist gar nicht gelb, sondern so grün-metallisch. Und ich sitze auch nicht vorne, sondern hinten. Hinten auf einem schmucken Anhänger, der ein wenig rustikal geschmückt ist, so mit ein bisschen Wein-Deko und Lichterketten. Vom lenkenden Schwager ist auch nix zu sehen, denn der Fahrer - ein Winzer oder zumindest ein Winzerfamilien-Angehöriger - der hockt auf seinem Traktor vorne. Ich hingegen habe die Gesellschaft von einem guten Dutzend Freunde. Können auch je nach Anlass Kollegen oder vollkommen fremde Menschen sein, die zufällig dieselbe Tour gebucht haben. Jedenfalls stehen vor uns kleine Gläschen sicher in runden Löchern in einem Holztisch. Und darin schwappt, herrliche Schlieren ziehend, ein Schlückchen Weißwein.

Der Rote Hang am Rhein bei Nierstein. Foto: Wolfgang Bürkle

Wir sind auf einer Weinbergsrundfahrt, eine der typischen Touristenattraktionen von Nierstein. "Uff de Roll`" (also auf einem Planwagen, der von einem Traktor gezogen wird) geht es mit "Weck, Worscht un Woi" durch die Weinberge rund um den rheinhessischen Ort, zu Aussichtspunkten und zu Sehenswürdigkeiten. Seit über 35 Jahren (als Kerbeidee entstanden) werden diese von den Niersteiner Winzern angeboten - und mittlerweile sieht man an jedem sommerlichen Wochenende dutzende von Wagen durch die reizvolle Gemarkung rollen. Die Rundfahrten sind zu einem Tourismusmagnet geworden: Die oft betitelte "Karawane des Frohsinns" hat schon viele begeisterte Nachahmer in der Region gefunden. Das Original ist aber in Nierstein zu finden.

Zugestiegen wird (nach Anmeldung und Anreise) zumeist am Bahnhof oder beim Winzer selbst. Dann tuckert das laut brummelnde Gefährt erst durch die engen Gassen der Riesling-City, schließlich hinauf in die Weinberge. Die kleine Steig geht es hoch, an der alten Kelter vorbei wird rechts abgebogen und schon ist die fröhliche Gemeinschaft mitten im Roten Hang, dem Aushängeschild Rheinhessens. Rieslinge von Weltrang wachsen hier - im Glas bei der Fahrt bekommt man mit Glück auch einen oder zwei der edlen Tropfen kredenzt. Zumeist geht es hier aber eher ums lustige Zechen und das gemeinschaftliche Erleben. Da tut es auch ein einfacher Riesling, ein lieblicher Rosé oder ein Traubensaft für diejenigen, die noch Autofahren müssen.

Auf Weinbergsrundfahrt in Nierstein. Foto: Wolfgang Bürkle

An einzelnen Weinbergen wird zwischendurch Halt gemacht - dann erzählt der Winzer von seiner Arbeit, vom Wetter, von der Ortsgeschichte, von der abgerissenen Malzfabrik, die einst die Gegend verschandelte, oder er echauffiert sich über die Gott, die Welt und unfähige Politiker. Denn der Winzer ist immer ein Botschafter der Region, mit einer klaren Meinung, und natürlich will er mit seinem Erzeugnis die Welt auch ein Stück besser machen. Jedenfalls zumindest ein Stück fröhlicher. Manche Winzer betonen zudem augenzwinkernd den gesundheitlichen Aspekt - darum sagt man eben "In Niersto gibts mehr alde Woidringer wie alde Doktorn."  

Die touristischen Aushängeschilder von Nierstein werden von den Traktoren auf der "Funzelfahrt" selbstverständlich angefahren. Am Brudersberg wird von den leicht angeheiterten Passagieren ein Blick durch die metallene Skulptur der "Schönsten Weinsicht 2012" und über den Rhein geworfen, am Wartturm schaut man weinselig durch die Rebzeilen hinab auf die Stadt und nach Westen über das rheinhessische Hügelland. Manche Touren führen auch zum Schwabsburger Schlossturm - hier wackeln dann vor allem die Mutigen oder die romantisch Veranlagten die dunkle Wendeltreppe nach oben.

Auf Weinbergsrundfahrt in Nierstein. Foto: Wolfgang Bürkle

Nach ein paar Stunden geht es wieder hinab ins Ort. Und wenn man schließlich vom Wein erheitert wieder auf dem Hänger sitzt, wird einem klar: Es ist die Perspektive die zählt. Große Städte protzen mit ihrer inneren Schönheit, sie bieten Rundgänge und Sightseeing-Fahrten an, die durch die Straßen, zu Kirchen oder Denkmälern führen. Wer nach Nierstein kommt, wird sich zwar auch früher oder später das Innere der Stadt ansehen - aber die größte Sehenswürdigkeit ist die Lage, die bei einer Wingertsrundfahrt auf einmalige Art und Weise erlebt werden kann. Die Stadt muss von Außen gesehen werden: In einem kleinen Talkessel direkt am Rhein, umgeben von Weinbergen, der Blick bis in den Odenwald und in den Taunus. Herrlich einzigartig. 

"Möchte so gern noch bleiben, aber der Wagen rollt."

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