Meditieren in der besten Lage: Im Tigernest von Bhutan

14.01.2020 12:20

Das Tigernest in Bhutan. Foto: wanderwithwolf.com

Noch hängt der Nebel tief zwischen den Bäumen und dem Fels. Dennoch kann ich in schwindelerregender Höhe die kleinen weißen Gebäude mit den goldenen und rotbraunen Dächern erkennen, die dort, im südlichen Ausläufer des Himalaya, wie angeklebt erscheinen. Es ist irgendwie unwirklich, denn wie bei Machu Picchu oder dem Taj Mahal kann ich es anfangs gar nicht fassen, das ich wirklich in greifbarer Nähe zum Tigernestkloster bin. Diesem Wahrzeichen Bhutans, das meist fotografierte Bauwerk im Land, dass jeder hier kennt und das jeder, der die Region bereist, auch besuchen will. Und für mich ist es auch der Höhepunkt am Ende meiner Reise, nach knapp zwei Wochen in Bhutan
 
Das Tigernest in Bhutan. Foto: wanderwithwolf.com
 
Natürlich ist das Tigernest nicht nur einfach ein Kloster. "Lage, Lage, Lage" - schallt es durch meinen Kopf. Es ist ein einzigartiges Stück Architektur in einer einzigartigen Bergwelt, vergleichbar vielleicht mit den griechischen Meteora-Klöstern. Erreichbar ist das majestätische Gebäude, das auf einem Plateau in einer steilen Felswand gebaut ist, nur zu Fuß einen recht steilen Berg hoch. Die Faulen nehmen einen Esel, der zumindest die halbe Strecke bewältigen kann. Über 800 Höhenmeter gilt es vom Parkplatz bis zum Kloster zu bewältigen, das auf 3120 Metern liegt. Die Informationen, die ich im Vorfeld zu dieser Wanderung bekommen hatte, widersprachen sich oft: Zwischen "easy walk" und "total schwer" waren die Erfahrungsberichte. Also bereitete ich mich auf ein Abenteuer mit mittlerer Schwierigkeit vor. Und nun stehe ich morgens um halb neun am vollen Parkplatz und blicke zum nebelverhangenen Tigernest empor. Mit anderthalb Litern Wasser im Rucksack und viel Motivation laufe ich los, erst an ein paar Händlern vorbei, dann durch eine Eselherde hindurch. Die ersten Meter sind recht flach, es geht durch einen Wald mit Eichenbäumen, Pinien und Rhododendron, schließlich an einem Bach mit der unvermeidlichen großen Gebetsmühle vorbei. Dann wird es steil, staubig - und anstrengend. Stets in Begleitung von irgendwelchen Streunerhunden und den allgegenwärtigen Gebetsfahnen geht es voran.
 
Das Tigernest in Bhutan. Foto: wanderwithwolf.com
 
Die Geschichte des für Buddhisten heiligen "Taktsang"-Klosters („Takt“ bedeutet Tiger und „Sang“ Nest) reicht bis ins achte Jahrhundert zurück - als Guru Rinpoche (auch "Padmasambhava") den Buddhismus in Tibet und Bhutan begründete. Das ursprüngliche Gebäudeensemble entstand 1692, also etwa 900 Jahre, nachdem Guru Rinpoche, der als Reinkarnation von Buddha angesehen wird, auf einer Tigerin angeflogen kam und dann drei Monate, drei Wochen, drei Tage und drei Stunden auf dem Felsvorsprung meditierte. So besagt es jedenfalls die Legende. Seit dem achten Jahrhundert sind immer wieder tibetische und bhutanische Mönche an diesen Ort gekommen, um zu meditieren. Ein Tiger steht mir leider nicht zur Verfügung, wohl würde ich mich auch nicht trauen, auf einem solchen zu reiten. Zu Fuß geht es schließlich auch. 
 
Das Tigernest in Bhutan. Foto: wanderwithwolf.com
 
Nach den ersten paar steilen Metern drückt sich sie Sonne zwischen den Wolken hervor, der Schweiß beginnt langsam zu rinnen. Ich ziehe den Pulli aus, bleibe immer mal wieder stehen, um die sich ständig verändernde Aussicht auf das Tigernest zu genießen. Und einmal auch, um einem flott herabtrottenden Esel auszuweichen. Nach etwa einer Stunde erreiche ich das erste Aussichtsplateau mit großer Gebetsmühle und vielen wehenden bunten Fähnchen. Eine Abzweigung führt schon zum Teehaus, einer Zwischenstation, wo ich aber erst auf dem Rückweg Rast machen will. Also geht es weiter und nach gut 45 weiteren Minuten stehe ich auf dem Bergvorsprung direkt gegenüber des Taktsang-Klosters. Gold, weiß und rotbraun glänzen die kleinen Gebäude erhaben in der Sonne - genauso wie ich es von den Postkartenmotiven kenne. Aber der reale Rundumblick haut mich förmlich um: das Paro-Tal zu meiner rechten, die schroffen Berge mit einem kleinen Wasserfall zu meiner linken, das Tigernest surreal vor mir. Eine architektonische Meisterleistung, mit den Spitztürmchen auf den Dächern und den verschachtelten Türmchen, dazu die kleinen Treppen und Holzerker. Um zum Kloster zu gelangen, ist jetzt Treppensteigen angesagt. Erst herunter zum Wasserfall und dann wieder herauf, bis ich am Kassenhäuschen angekommen bin. Fotos sind im Inneren nicht erlaubt, das Gedächtnis muss reichen. Zumindest war der Hinweg weniger anstrengend als gedacht. 
 
Das Tigernest in Bhutan. Foto: wanderwithwolf.com
 
Es gibt mehrere für Besucher zugängliche Bereiche, darunter vier Tempel, alle wunderschön verziert und bemalt, teils mit großen Statuen. Nur wenige Mönche leben hier, in ihre Wohnräume darf ich nicht. Alle Gebäude sind mit Treppen und schmalen Gängen miteinander verbunden, Besucher aus vielen Ländern drängen sich hier, einige beten, andere meditieren, die meisten ziehen nur ihre Schuhe aus und wieder an. An einem Fels mittendrin gilt es ein Glücksspiel zu bewältigen: Mit geschlossenen Augen und ausgestrecktem Finger einen Meter laufen und dann eine Einkerbung genau treffen verspricht die Erfüllung eines Wunsches. Die Meditationshöhle des Gurus ist wie fast immer verschlossen. Butterlampen sehe ich nur noch in einem Raum - nachdem das Kloster zuletzt 1998 komplett niederbrannte, ist man sehr vorsichtig mit offenen Feuer. Darum sind auch alle Gebäude recht neu: Die Rekonstruktion dauerte mehrere Jahre, da die Baumaterialien über den Fußweg angeliefert werden musste. Im Vergleich zu anderen Klöstern in Bhutan wirken hier die Innenräume auf mich wenig spektakulär. Erst wenn man aus dem Fenster blickt und sich die Lage verdeutlicht, wird es zu einem beeindruckenden Wahrzeichen. Auf einer einsamen Terrasse setze ich mich kurz an die Mauer, blicke in die Ferne und den Abgrund, und verstehe, warum manche hier die Stille zur Meditation suchen. Doch dann plappert eine indische Gruppe nur wenige Meter entfernt los. 
 
Das Tigernest in Bhutan. Foto: wanderwithwolf.com
 
Eine knappe Stunde verbringe ich im Bereich des Klosters, bevor es zurück geht, wieder erst die Treppen hinab und hinauf, am Wasserfall vorbei. Die Sonne ist mittlerweile weiter gewandert und hüllt nun das komplette Kloster in strahlendes Licht. Endlich die perfekte Situation für Fotos. Glücksbeseelt verbringe ich noch etwas Zeit auf den Aussichtspunkten auf der gegenüberliegenden Seite, dann geht es abwärts zum Teehaus auf halber Höhe des Bergs, wo ein vegetarisches Buffet auf den teils müden, teils euphorischen Wanderer wartet. Der Rest des Abstiegs verläuft wie in Trance, ich bin vollgefuttert, habe schwere Beine und versuche noch so oft wie möglich einen Blick auf das Tigernest zwischen den Bäumen zu erhaschen. Die nun wieder entgegenkommenden Esel weichen gekonnt aus, doch ihr aufgewirbelter Staub brennt in meinen Augen. Zurück am Parkplatz ziehen wieder Wolken über den Bergen auf - ich sinke in den Bussitz, trinke erstmal einen halben Liter Wasser und schaue mir dann die Fotos auf der Kamera an. Kaum zu glauben, aber ich war im Tigernest.
 
Das Tigernest in Bhutan. Foto: wanderwithwolf.com
 
 

Mehr aus Bhutan: 

Von Masken und Penissen: Ein Tempelfest in Bhutan

----- 

Nix verpassen? Lust zu einem Kommentar? Follow me here: 

Facebook

Instagram

Twitter