Bolivien - Die Teufelsfratzen von La Paz
15.07.2014 14:26Die Fratzen verfolgen mich. Grotesk verzerrte Gesichter mit riesigen Augen, gefletschten Zähnen, wild umherwehenden Haaren. Rhythmisch tanzen die Teufelsgestalten im Pulk, trommeln, stampfen. Sie kommen immer näher. Ich kann nicht fliehen, denn überall sind Menschen dicht gedrängt, ein Durchkommen ist nicht möglich. Die Menschen feuern die Fratzen an, singen im Takt mit, hüpfen und jubeln. Die wilden Teufel kommen immer näher, wie ein Dampfer bahnen sie sich ihren Weg durch die Menge, weiter auf mich zu. Ich weiche so weit es geht zurück, spüre den Atem der Gaffer im Nacken, meine Hände stoßen immer wieder auf blockierende Schultern. Gleich haben sie mich eingeholt, die hässlichen Fratzen. Plötzlich ertönt ein lauter Knall, ein Böller wurde gezündet. Augenblicklich verharren die Fratzen wie steingewordene Skulpturen. Ich schaffe es, mich zwischen zwei schmächtige Jungs zu drücken, verschwinde aus dem Blickfeld der Verfolger. Nur einige Sekunden später beginnen die dämonischen Wesen wieder mit ihrem stampfenden Tanz, marschieren unbeirrt weiter, doch nun an mir vorbei, bis sie hinter der nächsten Ecke verschwinden.
Es ist der Gedenktag von Peter und Paul. Und dieser wird in La Paz ausgiebig gefeiert. Die dämonischen Fratzen des Diablada-Tanzes gehören dazu, den ganzen Tag lang, die ganze Nacht führen sie ihren Reigen fort, wechseln sich mit jungen Frauen in knappen Röcken, Musikgruppen und Tanzballetts ab. Blöderweise habe ich mein Hotel direkt am Platz des Heiligen Petrus, an dem den ganzen Tag (und in der Nacht) der Umzug stattfindet. Darum verfolgen sie mich jedesmal, wenn ich die Straße zum Hotel entlang gehe. Entweder laufe ich zwischen ihnen hindurch oder mitten in sie hinein. Die Menschenmassen feiern mit, tanzen mit, sitzen an Tischen und essen und trinken.
Auf dem Platz sind Dutzende Stände aufgebaut, es gibt den üblichen Nippes, außerdem Eis und Süßigkeiten, Glücksspiele laden zum Geld verlieren ein. Die traditionell gekleideten Cholitas mit ihren markanten Bowler-Hüten schwingen ihre mitunter ausladenden Hüften. Direkt vor der Hotelpforte hat es sich ein Junge auf dem Bordstein bequem gemacht, in seinen Armen zittert ein junges Lamm. Trotzdem schaut der Junge lieber der vorbeiziehenden Prozession hinterher. Als ich die Tür zum Hotel öffne, springt der Junge kurz auf, das Lamm blöckt leise, dann setzt sich der Bursche ein paar Zentimeter weiter entfernt wieder hin.
Laut Juan, meinem gesprächigen Guide, gibt es 421 Feste und Umzüge in La Paz pro Jahr. Immer wird irgendwo gefeiert, immer gibt es einen Anlass zum Tanzen und Trinken. Sei es das Wochenende, sei es der Anfang der Woche, sei es eine Hochzeit, eine Geburt, ein Todesfall. Oder eben Gedenktage. Alleine bleiben muss niemand. "Wenn du Single bist, umso besser. Wenn du nur ein bisschen oder nur kurzfristig Single bist, auch gut", lacht er. Die Diablada-Tänzer mit ihren bunten Teufelsmasken sind fester Bestandteil der großen Feierlichkeiten, ebenso wie der Alkohol. Für uneingeweihte Reisende ähneln sich die unzähligen Tanz- und Musikgruppen beim Umzug von Peter und Paul jedenfalls ziemlich - nach einer gefühlten halben Ewigkeit trete ich den Rückzug an. Auch viele einheimische Besucher haben es sich schließlich auf den wenigen Bänken, mitgebrachten Stühlen oder den Bordsteinen bequem gemacht. Die mobilen Fleischbratereien sind heftig umlagert.
Irgendwann am Abend habe ich es zurück ins Hotelzimmer geschafft. Vom Balkon im ersten Stock aus kann ich um die Ecke auf den Platz (und das anliegende Gefängnis) schauen. Unten auf der Straße wird noch in voller Lautstärke gefeiert. Die Zugtruppen, die Tänzer, die Fratzen und Grillfeuer zeigen auch spät in der Nacht nur wenige Ermüdungserscheinungen. Ohrstöpsel müssen helfen, doch selbst mit ihnen wummert die Musik in meinen Kopf. Und die diabolischen Fratzen verfolgen mich weiter bis zum Morgengrauen.
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Besucht im Sommer 2014.
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