Ein Touristenmagnet im Winterschlaf: Unterwegs in Rothenburg ob der Tauber

08.02.2018 19:26

Rothenburg ob der Tauber, Deutschland. Foto: Wolfgang Bürkle

Es ist schon dunkel, als ich wieder die Altstadt von Rothenburg ob der Tauber betrete - durchs mächtige Galgentor durch, mit dem Stadtplan in der Hand. Der Wirt vom Gasthaus hat mir kurz eingezeichnet, wo ich anfangs am Besten hinlaufe, um mir das historische Städtchen anzuschauen. Mein letzter Besuch hier ist gut viereinhalb Jahre her, aber viel verändert hat sich nicht. Außer, dass um diese Jahreszeit kaum was los ist. Mitte Januar, viele Geschäfte haben Winterpause und viele Menschen offenbar keine Lust, genau in diesem Monat hier Urlaub zu machen. Zwar wirken die Auslagen und Gebäudefronten auch jetzt so, wie man sich ein typisches deutsches Dorf vor 60 Jahren vorstellt: irgendwie kitschig, bunt und einladend. Doch diese Stadt, die eigentlich auf Tourismus aus aller Welt getrimmt ist, ist offensichtlich in den Winterschlaf gefallen. Niemand schaut sich die japanisch-sprachige Karte vor dem Sushi-Restaurant an, bei den geöffneten Gaststätten sind viele Tische leer - und auch auf der Straße ist kaum noch jemand unterwegs. An der Uhrzeit kann es nicht liegen, ist ja noch nicht mal 18 Uhr.    

Rothenburg ob der Tauber, Deutschland. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Die Gassen sind wie leer gefegt, liegen schummrig im orangefarbenen Licht. In den wenigen noch offenen Geschäften rund um den Marktplatz wird gerade zusammengepackt, ein Besucher wird sanft heraus gescheucht. Auf dem Weg zum Plönlein, dem bekanntesten Stadteck mit dem markanten Siebersturm, halten einige Amerikaner im Mietauto an, steigen aus und fotografieren. Ein hässliches Zelt steht allerdings aktuell davor und verschandelt die Sicht. Mist. Da macht das Fotografieren keinen Spaß. Vermutlich wissen das auch die Ferngebliebenen - und auch die Amerikaner sind einen Moment später wieder weiter gefahren. Schon bei meinem letzten Besuch in Rothenburg war die Rathausfront hinter Planen verdeckt - irgendwie habe ich wohl nicht das Glück, die ganze Stadt in "perfektem" Zustand zu sehen. Auch der Rathausturm ist in diesen Tagen geschlossen - wahrscheinlich hätte auch kaum jemand Lust, die ganzen Stufen nach oben zu laufen, um Rothenburg im grauen Wolkenschleier zu erleben. Für diesen Abend lass ich den weiteren Bummel sein, der Hunger macht sich auch langsam bei mir bemerkbar. Irgendwas rustikales soll es sein, keine Pizza und kein Schnitzel. Italiener gibt es einige in der Stadt, aber ich bevorzuge dann doch eine der typischen fränkischen Gaststuben - und irgendwie kommen in den urigen Räumen, bei Schweinebraten und kitschigen Wandmalereien, Kindheitserinnerungen hoch. 
 

Rothenburg ob der Tauber, Deutschland. Foto: Wolfgang Bürkle

Der Morgen kommt zumindest mit etwas hellerem Himmel, auch wenn die Sonne weiter keine Lust zum Durchdringen hat. Noch einmal in die Stadt, die anderen Lichtverhältnisse zum Bummeln und Fotografieren nutzen. Erst mal die Stadtmauer hoch und dort entlang flaniert. Der zugige Wind und die teils niedrigen Balken des Dachs lassen mich den Kopf einziehen. Zumindest dort kommen mir manche Besucher entgegen, die die ungewohnte Leere ausnutzen. Mein persönlicher Höhepunkt kommt nach einigen hundert Metern: die St. Wolfgangskirche - allerdings nur dem Namen nach, denn sie ist geschlossen. Dann weiter zum Burggarten, der sich heute im tristen regnerischen Grau wenig ansehnlich zeigt. Die Statuen sind zum Schutz in Holzkisten gepackt, der Ausblick auf die Tauber ins Tal nur begrenzt pittoresk. Aber auch hier ist klar - im Vergleich zu meinem letzten Besuch ist es fast menschenleer, kaum jemand behindert die Sicht oder platzt versehentlich ins Foto.  
 
Rothenburg ob der Tauber, Deutschland. Foto: Wolfgang Bürkle

Weihnachten ist zwar erst kurz vorbei, aber ich gebe mir trotzdem ein kleines bisschen festliche Dröhnung und gehe in das Weihnachtsgeschäft von Käthe Wohlfahrt. Christbaumkugeln, Nippesfiguren, schneebedeckte Landschaften und Kuckucksuhren überall. Und Touristen aus aller Herren Länder, die den Kitsch auch noch kaufen, obwohl das nächste Fest erst in elf Monaten ansteht sind. Die Verkäuferinnen sind offensichtlich abgestumpft, eine pfeift sogar die Weihnachtslieder aus dem Lautsprecher mit. Kurz überlege ich, ob ich mir das Weihnachtsmuseum antun will, entscheide mich aber aus dem Wetter geschuldeter Lustlosigkeit dagegen. Lieber mache ich draußen noch ein Foto mit dem Riesen-Nussknacker und gehe weiter, nochmal zum Marktplatz, wo sich eine große Gruppe Asiaten versammelt hat, mit Kameras im Anschlag. Endlich Touristen, endlich Trubel, endlich sehe ich das, was ich sonst bei Besichtigungen meide, wie der Teufel das Weihwasser: Ansammlungen von knipsenden Menschen. Aber an diesem Tag hat dieses Schauspiel etwas beruhigendes, gar tröstendes. Denn es zeigt, dass auch Rothenburg ob der Tauber im Winterschlaf manchmal ein bisschen wach wird, atmet und lebt. 
 
Rothenburg ob der Tauber, Deutschland. Foto: Wolfgang Bürkle
 

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