Hab mich lieb! johlt Amsterdam - Unterwegs in der Hauptstadt der Niederlande
05.03.2015 13:21Amsterdam will geliebt werden. Das spüre ich sofort. Denn alle sind furchtbar freundlich zu mir. Erst am Abend die blonde Rezeptionistin im Hotel, dann die forsche Bedienung in der Pizzeria und schließlich am nächsten Morgen der schlaksige Mitarbeiter in der Tram, der mir gut gelaunt Tipps zum Besichtigen gibt. Und kaum bin ich an diesem sonnigen Sonntag an der Leidseplein ausgestiegen, spüre ich das relaxte und entspannte Gefühl der holländischen Hauptstadt. Noch haben die meisten Geschäfte zu, die Gassen sind relativ leer. Ein paar Touristen ziehen ihre Trolley-Koffer hinter sich her.
Ich fange an zu summen. Erst das Schlager-Malle-Lied "Traum von Amsterdam", irgendwas mit "Allein in einer fremden Stadt", den Text kann ich nicht wirklich. Dann versuche ich mir die sehnsuchtsvoll getriebene Melodie des Jacques-Brel-Chansons "Dans le port d'Amsterdam" ins Gedächtnis zu rufen. Ich hole mein Handy raus, lasse das Lied noch einmal leise laufen, während ich an einem Brückengeländer über einer Gracht lehne. Das aufbrausende Brüllen von Brel motiviert mich, die finsteren Seiten der Stadt zu finden. Ich laufe darum in Richtung Bahnhof, in Richtung Rotlichtviertel, dieser geradezu legendäre Winkel im Zentrum. Doch die Seeleute sind weniger geworden, haben Platz gemacht für Touristen aus der ganzen Welt. Biertrinkend. Jointsrauchend. Finster ist hier nichts - eher alles lebensbejahend.
"Hab mich lieb!" johlt also Amsterdam und lockt zum Cannabiskonsum in die Coffeeshops. Eine vor ein paar Jahren angedachte Regelung, dass nur Einheimische das Zeugs konsumieren dürfen, scheiterte - nicht zuletzt einer der Hauptgründe für junge Leute, die niederländische Hauptstadt zu besuchen. Und so sitzen sie schon am Vormittag in den Shops. Der süßlich-würzige Duft strömt aus den Türen heraus, als ich vorbeigehe, in Richtung Oude Kerk.
"Hab mich lieb!" säuseln hier die Prostituierten in ihren roten Fenstern den Männern zu. Zumindest für ein paar Minuten und etwas Geld. Sie klopfen an die Scheibe, um auf sich aufmerksam zu machen, drücken ihren operierten Busen dagegen. Als ich langsamer laufe, springt eine Tür auf, die Dame will wohl etwas deutlicher zum Reinkommen auffordern. Ich erhasche aber nur einen Blick auf das klinisch rein gefließte Zimmer im Hintergrund, welches mich zum zügigen Weiterlaufen mehr animiert, als jede weitere Dame, die noch an ihr Fenster klopft. Der Weg führt mich über den Nieuwmarkt weiter zum Rembrandthaus und zur Oper, schließlich an der Hermitage vorbei.
"Hab mich lieb!" flüstert sich das Liebespaar zu, dass ein Schloss mit den eingravierten Namen am Geländer auf der Mageren Brug befestigt und den Schlüssel ins Wasser wirft. Ein paar Passanten werden Zeuge dieses merkwürdigen Rituals, das sich in der jüngsten Zeit auf der ganzen Welt ausbreitet, zu einem Symbol von Hoffnung in der Liebe wird. Das Paar lehnt am Geländer, ineinander verschlungen, ungeachtet der Hausboote unter ihren Füßen. Die Sonne blitzt auf dem Wasser. Ich lasse die beiden ihre Zweisamkeit und Hoffnung genießen und mache mich auf zur Museumsplein, einigen rasenden Fietsen ausweichend.
"Hab mich lieb!" haucht Rembrandt der Menge ins Ohr - und alle strömen herbei, um seine "Nachtwache" im Reichsmuseum zu sehen. Dutzende Menschen stehen davor, drängeln sich Seite an Seite nach vorne, um einen genaueren Blick auf das riesige, bald 400 Jahre alte Gemälde zu werfen. Prominent hängt es in seiner ganzen Pracht in einer riesigen Halle, beschützt von einem Wachmann. Die Protagonisten sind ja ganz nett gemalt, aber die obere Hälfte ist ziemlich dunkel, murmelt ein Kunstbanause. "Schon mal vom Goldenen Schnitt gehört?", zischelt sein Kompagnon. Das Museum ist vollgestopft mit Kunst, man kann sich gar nicht auf die Fülle an Werken konzentrieren. Doch pompös ist nicht alles hier drin - denn viel anders und bescheiden wirkt das winzige Selbstbildnis von van Gogh eine Etage tiefer, schon fast versteckt kurz vor einem Durchgang.
"Hab mich lieb!" schreit Amsterdam, als ich gerade die Eindrücke von Hunderten Kunstwerken verarbeite. Kinder und Teenager klettern johlend auf dem riesigen Schriftzug "I am Amsterdam" herum, öffentlichkeitswirksam, direkt vor dem Reichsmuseum. Auch eine Eisbahn ist aufgebaut, auf dem großen Rasen wird Fußball und Wikingerschach gespielt, ein Adrenalinjunkie versucht mit einem Gleitschirm dort abzuheben. Mehr als ein paar Meter weit kommt er nicht, dennoch hat er die Aufmerksamkeit vieler Flaneure auf sich gezogen.
"Hab mich lieb!" gurrt die Stadt am Abend. Stundenlang war ich nun in Amsterdam unterwegs, auch mit der Tram im Osten, inmitten unzähliger verklinkerter Häuserblocks, davor noch im Vondelpark. Die blaue Stunde ist vorüber. Die Sehenswürdigkeiten im Zentrum werden von Scheinwerfern angestrahlt, Straßenmusiker und -künstler geben noch einmal alles, um Geld in ihre Taschen zu bekommen. Der Trubel in den Gassen nimmt langsam ab, verlegt sich in die mit grellen Schildern beleuchteten Restaurants und Bars. Die Geschäfte schließen ihre Türen, auf den Grachten fährt kaum noch ein Schiff. Dafür spiegeln sich der Mond und die Lichter der Promenaden auf dem Wasser. Ich denke noch einmal an Jacques Brel und seine versoffenen Seeleute. Aber in diesem Moment trifft es "Traum von Amsterdam" doch ganz gut.
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