Dramatik in Island - Am mittelatlantischen Graben

01.11.2013 13:37

Thingvellir.

Die Welt reisst auf. Riesige Gesteinsmassen driften auseinander, Magma drückt sich bebend nach oben, rot, zäh und heiß bahnt sich die Lava einen Weg aus dem tiefen Erdloch und schafft neues karges Land. Deutlich ist eine Verwerfung hier in Thingvellir in Island zu sehen, kilometerlang und so tief, wie ein mehrstöckiges Haus hoch ist. Man kann sehen, fast spüren, dass hier gewaltige Kräfte gewirkt haben, immer noch wirken können, dass die Eurasische und die Nordamerikanische Platte in dieser Region auseinandertreiben und keine menschliche Maschine diese Bewegung aufhalten könnte.

Ich stehe am Rand des Grabenbruchs, der bis zu 70 Meter breit und 30 Meter tief ist, und versuche nachzuempfinden, wie die Erde beben muss, wenn sich die Platten auseinanderzwängen, wie sich die Natur verändert, der nahe See Thingvallavatn an einer Bruchstelle brodelt, wie die Tiere fliehen und die Menschen aus den Häusern stürmen, aus Angst, dass Dach fällt herunter. Die stärksten Erdbeben hier in jüngster Zeit waren allerdings in den Jahren 2000 und 2008 - und wohl auch nicht annähernd so stark, dass mehr als ein paar Steine bröckelten.

Thingvellir in Island. Foto: Wolfgang Bürkle

Auf diesem oberen Stück Land sehe ich die faszinierende Umgebung um Thingvellir, überall sind Risse und Falten im Boden, in der Ferne sind schneebedeckte Berge, der kalte Wind zieht durch die kleinen grünen Büsche. Unterhalb in der Ebene ist es direkt viel grüner, ein Bach bahnt sich den Weg zum See, einige große Häuser und eine Kirche stehen fremdartig erhaben da und stören die Weite. Über die fast schwarzen Lavasteine können wir klettern, die Maserung des erkalteten Gesteins erfühlen und nachvollziehen, warum genau hier erst die Wikinger ihre jährliche Versammlung abhielten, 1000 Jahre später dann die Isländer ihre Republik ausriefen. Vom Logberg, dem Gesetzesfelsen, riefen die Sprecher in die Ebene, wo sich hunderte Männer versammelt hatten. Eines der ersten Parlamente der Welt, fernab der großen Zivilisationen. Obwohl die Wikinger und Isländer wohl noch nicht viel von der Kontinentaldrift wussten, hatten sie sich für neue Ideen und Gesetze ein Stück Erde gesucht, das selbst Neues schafft und konsequent im Wandel ist.
 
Wie ein Blatt Papier, das man zusammenfaltet, sehen die Felsaufwerfungen aus. Durch die Schlucht Almannagja laufe ich in die Ebene, an einem kleinen Wasserfall vorbei. Heute laufen hier täglich hunderte Touristen entlang, die sich vorher im Informationszentrum über das Unesco-Weltkulturerbe schlau gemacht haben. Können wir nachvollziehen, wie damals die freien Männer mit ihren Pferden oder zu Fuß aus der ganzen Region herkamen? Wie sie hier zelteten, die Forellen aus dem Fluss fischten, gemeinsam vor ihren Zelten oder provisorischen Torf- und Steinhütten am Feuer saßen und über Politik, ihr Leben und ihre Familien sprachen? Thingvellir ist ein Ort, der nicht nur durch seine Landschaft, sondern auch durch seine kulturelle Bedeutung beeindruckt - das Zentrum der isländischen Kultur.

Thingvellir in Island. Foto: Wolfgang Bürkle

Besucht im Juli 2011

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