

Erhaben wedelt der Storch mit seinen großen weißen Schwingen. Sein langer, orangefarbener Schnabel beugt sich nach unten, öffnet sich langsam. Und zwei kleinere Schnäbel recken sich ungezügelt nach oben. Gierig schnappen sie nach dem, was sie überreicht bekommen. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt eine Storchen-Familie aus so kurzer Entfernung gesehen habe. Aber Störche scheinen allgegenwärtig im Sommer, zumindest hier an der Algarve. Sie sitzen auf Schornsteinen, auf Kirchtürmen, auf Strommasten. Die Menschen hier in Faro, in Silves und vielen anderen Orten der Region haben ihnen eigens besondere Plätze bereitet, damit sie ihren Nachwuchs sicher aufziehen können.
In Faro muss man nicht groß nach Störchen suchen: Als ich ein paar Meter über die markante, schwarz-weiße Wegpflasterung in der Innenstadt laufe ("Calçada portuguesa" genannt), sehe ich schon direkt auf einem der Häuser ein viereckiges Holzgerüst, darauf ein beachtliches Nest inklusive Storch. Gleich zwei Nester sehe ich etwas später auf dem Dach des Stadtmuseums, dem einstigen Kloster der "Nossa Senhora da Assunção". Schon im Jahr 2002 schrieb der Spiegel, dass Faro das "Domizil der Störche" sei. Gut, dass dem wohl immer noch so ist.

Faro ist die Hauptstadt der Algarve, im Süden von Portugal - mit Flughafen, Bahnhof und direkt am Naturpark Ria Formosa gelegen, einem Lagunensystem. Mit dem Mietwagen in die Stadt hineinzufahren, auch am Bahnhof vorbei, ist kein Vergnügen. Enge Gassen, viele Ampeln, unübersichtliche Kreuzungen. Doch hat man erstmal einen Parkplatz gefunden, kann man sich ganz gemütlich treiben lassen. Vom beschaulichen Jachthafen geht es auf den Platz Jardim Manuel Bivar, mit seinem Musikpavillon und den schattigen, lila-blühenden Jacaranda-Bäumen. Hier kann man auch schon das prächtige Stadttor Arco da Vila sehen. Entweder geht man dann direkt in das Zentrum der Altstadt, oder man geht erst shoppen, in den unzähligen engen Gassen, überdacht von Sonnensegeln. Und zwischendrin schauen die Störche von den Dächern.

Kultige Sardinen-Shops, wo künstlerisch wertvolle Dosen wie Schmuckstücke angepriesen werden, sind neben Cafés zu finden, Souvenir-Shops locken mit Portwein, Vinho Verde und kitschigem Handwerk. Dazwischen Bekleidungsgeschäfte und die üblichen Franchise-Ketten, mit allem, was die Flanierenden begehren. Viele weiße Gebäude, teils mit verschnörkelten Azulejo-Fliesen bedeckt, versprühen den gesuchten portugiesischen Charme. Kreuz und quer sind die recht schmalen Gassen angelegt; das sorgt bei mir manchmal für Verwirrung, aber nach ein paar weiteren Ecken komme ich doch immer wieder an einem Platz an, den ich schon mal beschritten habe. Und später hilft dann auch mal das Navi auf dem Handy.

Wer nicht durch das Tor Arco da Vila in die eigentliche Altstadt marschiert ist, kann durch das massive Arco de Repouso im Osten gehen. Hier ist ja auch ein riesiger Parkplatz nebendran. Die von den alten Mauern umgebene Altstadt ist Shopping-mäßig eine Enttäuschung. Dafür gibt's hier Kneipen und Restaurants, dazu die altehrwürdigen Gebäude, von denen die Störche hinabschauen. Hinter dem Stadtmuseum laufe ich einen Bogen, am Rathaus entlang auf der Straße "Largo da Sé" - was im Google-Übersetzer kurioserweise "Weg vom Meer" heißt. Hier stehen Orangenbäume am großen Platz vor der Kathedrale. Selbige ist ein uriger Mix aus Kirchenschiff, einem massiven Aussichtsturm, Museum und kleinen Kapellen an einem schattigen Hof. Darunter auch eine Knochenkapelle - mit gut sichtbaren Schädeln und Gebeinen. Natürlich stapfe ich die enge Treppe hinauf zur Turmplattform. Mein Blick fällt auf die Altstadt, die Lagune und das Meer dahinter. Ganz hübsch, wenn nicht ab und zu ein Flugzeug ziemlich tief fliegen würde. Luftlinie ist die Start- und Landebahn des Flughafens von hier geschätzt anderthalb Kilometer entfernt.
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In den angrenzenden Gassen prangen Graffiti an der Wand: Neben Spinnen und Orangen pellt sich eine halbnackte Frau aus einer Sardinen-Dose. Kunst oder Kitsch? Egal, jedenfalls ein weiterer Farbfleck, der der Altstadt von Faro auch ein bisschen rebellischen Charme verleiht. Wer ein paar Schritte weiter denkt, das "Castelo" sei eine alte Trutzburg, liegt freilich daneben. Heute ist es ein großes Restaurant, immerhin noch umringt von alten Mauern. Der südliche Ausgang der Altstadt enttäuscht. Er gibt den Blick frei auf den Parkplatz und die Bahnlinie, die an der Südküste nach Osten Richtung Tavira fährt, in den Westen nach Lagos. Kein Strand, kein blaues Wasser zu sehen. Statt einer hübschen Strandpromenade zwängt man sich hier also erst zwischen den alten Mauern und den Gleisen entlang, bis ein paar Stände und der Bootsanleger an der Porta Nova zur Fähr- und Ausflugsfahrt locken.

Man kann gewiss nicht behaupten, dass Faro "überrestauriert" ist. Ein wenig abgenutzt, ein interessanter Mix aus den vergangenen Jahrhunderten. Und, zumindest bei meinem Besuch, auch nicht so voll, wie befürchtet. Eher gelassen und entspannt bin ich durch die rustikalen Gassen geschlendert. Die Störche scheinen sich hier wohlzufühlen - das ist dann wohl auch ein gutes Zeichen.
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