Von Seen, Nazis und Backsteinburgen: Unterwegs in Masuren

01.03.2022 12:17
 
Masuren, Polen. Foto: wanderwithwolf.com
 
Es rumpelt unter mir. Seit vielen Kilometern schon, von einem Schlagloch ins andere, gelegentlich etwas Schotter dabei, oder auch mal eine Pfütze. Ziemlich unangenehme Fahrt, wenigstens hält das Gerumpel wach. Knapp 2000 Kilometer bin ich in den vergangenen Tagen gefahren, über deutsche Autobahnen und polnische Landstraßen. Viele waren erträglich, einige super gut. Und jetzt bin ich hier irgendwo zwischen Warschau und der Grenze zu Kaliningrad. Das Navi führt mich zwar den schnellsten Weg, aber irgendwie langsamer, als erhofft. Normalerweise sind die Masuren im Sommer eines der Top-Urlaubsziele in Polen. Aber jetzt ist kein Sommer mehr, es ist November. Die Straßen leer, viele Hotels auch - und selbst viele Museen lassen einen kostenlos herein, weil sonst kaum jemand da ist. Die Corona-Seuche tut dazu ihr Übriges.  
 
Ortelsburg, Masuren, Polen. Foto: wanderwithwolf.com
 
Irgendwann hat das Rumpeln ein Ende - ich bin in Szczytno angekommen, einer beschaulichen Kleinstadt. Zwar habe ich keine Ahnung, wie man diesen Namen korrekt ausspricht, aber wichtig ist erstmal, dass ich halbwegs pünktlich bin, zum Sonnenuntergang an der Ortelsburg. Einst eine Burg des Deutschen Ordens, sind heute nur noch einige Grundmauern erhalten. Direkt daneben ist das Masurische Museum gebaut worden. Die untergehende Sonne am See direkt daneben ist dann nach der Rumpelei eine nette Begrüßung in Masuren, einer Landschaft geprägt von vielen kleinen Seen, Feldern und flachen Hügeln. Nicht nur einmal habe ich auf der Fahrt gedacht, ich wär in Skandinavien: Hier ein Lagerfeuer an einem der kleinen Seen, dort ein buntes Holzhaus. Wenige Menschen, viel Landschaft. Dazwischen allerdings auch immer wieder ein paar deutsche Begriffe an der Straße und an Häusern. Ostpreußen ist zwar offiziell Vergangenheit, aber immer noch ein Stück weit präsent.
 
Ortelsburg, Masuren, Polen. Foto: wanderwithwolf.com
 
Während Warschau der riesige Moloch ist, mit Häuserschluchten und auch im November noch vielen Besuchern, kommt mir Masuren wie das verlassendste Stück Erde vor. Felder, Wälder, Seen - durchkreuzt von Straßen, dazwischen ein paar Ortschaften mit ziemlich leeren Gassen. Im trüben November will man ja auch nicht vor die Haustür. Außer es geht zum McDonald's in Mragowo, in dem sich scheinbar die halbe Stadt trifft und wo trotz Corona der gesamte Innenraum voll ist. Nicht nur hier, auch in meinem Hotel wird nicht unbedingt Wert auf das Abstand- und Maskenzeug gelegt - selbst wenn Schilder immer wieder darauf hinweisen. 
 
Masuren, Polen. Foto: wanderwithwolf.com
 
Ich bin nur ein paar Tage in Masuren unterwegs. um mir die Highlights anzuschauen. Neben der Ortelsburg und Mragowo sind das noch Ketrzyn (Rastenburg) und Reszel (Rößel), alles kleine verschlafene Ortschaften mit Burgen aus Backsteinen, mit wieder aufgebauten oder sanierten Marktplätzen und eher ärmlichen Gassen dahinter. Keine Feste, keine Musik - da habe ich wirklich einen ruhigen Corona-Herbst erwischt. Dazwischen der Ort Święta Lipka, einer der bekanntesten polnischen Marienwallfahrtsorte mit pompöser Kirche. Sonst überlaufen, aber in diesem November bleiben auch hier Pilger und Touristen größtenteils fern. Von den Geschäften nahe des barocken Gotteshauses sind nur wenige geöffnet.
 
Swieta Lipka, Masuren, Polen. Foto: wanderwithwolf.com
 
Mein Point of Return, also der Ort, der am weitesten entfernt von der Heimat ist, ist die Wolfsschanze. Das einstige Führerhauptquartier ist heute eine Mischung aus Mahnmal und Erlebnispark. Die Reste der gesprengten Bunker, in denen einst Hitler und Göring ihre Militäroperationen befehligten, sind bei einem Rundgang erlebbar - meterdicke Trümmer nur noch, von Flechten und Moos bewachsen. Graf von Stauffenberg zündete hier 1944 die Bombe, die den "Führer" etwas früher ins Jenseits hätte befördern können. Kurz vor Kriegsende sprengten die Nazis die meisten Gebäude mit den fetten Wänden noch selbst und vergruben dazu zehntausende Minen. Während mich das hier als Deutscher an die gesammelten Gräueltaten unserer Vorfahren erinnert und in meinem Kopf stetig ein "Nie wieder" hallt, tragen andere Besucher Springerstiefel und Tarnklamotten. In einem der renovierten Bunker kann man übernachten, nur unweit stehen Motorräder, Flug- und Fahrzeuge aus der Kriegszeit für Interessierte bereit. Auch irgendwie eine Erinnerungskultur.
 
Wolfsschanze, Masuren, Polen. Foto: wanderwithwolf.com
 
Masuren im Spätherbst - durchaus eine interessante Erfahrung. Mit der Fahrt Richtung Westen werden schließlich die Straßen wieder besser. Kein Wunder, geht es doch in Richtung Danzig und Marienburg - zu den Highlights im Norden Polens. Hier ist dann auch zu dieser Jahreszeit viel los, hier sind Menschenmassen unterwegs, hier ist Stimmung in den Straßen. Selbst in diesem Corona-Herbst. 

 

Marienburg, Polen. Foto: wanderwithwolf.com

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