Dunkle Wolken, unwirtliche Gipfel, entlegene Kirchen: Stepantsminda in Georgien

09.08.2017 12:39

Stepantsminda ist eine ranzige Stadt. Im urigen Hotel riecht es am frühen Morgen nach fettig gebratenen Eiern, am späten Nachmittag nach Kuchen. Der alte Holzboden knarrt bei jedem Schritt, die Türen quietschen und die Matratzen sind von vielen Gästen durchgelegen. Einzig die Aussicht durch mein Fenster ist faszinierend: Oben über der Stadt, auf 2170 Metern Höhe, thront die Gergetier Dreifaltigkeitskirche, dahinter, häufig wolkenverhangen, lugt die Spitze des Kazbek-Bergs hervor - ein schneebedeckter 5000er. An diesen soll einst Prometheus gekettet worden sein, weil er den Göttern das Licht stahl. Während meiner Tage hier schweift der Blick häufig nach dort oben, wo die Wolken, hell oder dunkel, rasant an dem kleinen Gotteshaus vorbei ziehen, ein beeindruckendes Spiel der Elemente. Mal ist die Sicht klar und der Himmel strahlend blau, mal verschwindet die Kirche im wabernden Grau der Wolken. 

Bei Stepantsminda in Georgien. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Auf dem Hauptplatz vor meinem Hotel lungern die Jeep-Fahrer herum, die die Besucher über eine matschige Holperpiste zur Dreifaltigkeitskirche bringen können. Es gibt am Platz Shawarma, Tee und Wechselstuben, einige kleine Märkte und gelegentlich auch Nippesverkäufer. Manchmal hält ein Auto und öffnet seinen Kofferraum - darin dicke Melonen aus dem Tal, ein mobiler Markt. Stepantsminda versprüht noch den Charme der Sowjetunion, zu der Georgien einst gehörte. Die Grenze zu Russland ist nur wenige Kilometer entfernt und die Straße, die durch den Ort führt, ist eine der Hauptstrecken für Laster in Richtung Hauptstadt Tiflis. Die Straßen hier müssen aufgrund der Eiseskälte im Winter, häufigen Erdrutschen und Lawinen sowie den vielen Lkw regelmäßig ausgebessert werden. Gasleitungen durchbohren die Gipfel der Berge, ein Wasserkraftwerk wird noch vom Geröll des letzten Erdrutsches befreit. 
 
Bei Stepantsminda in Georgien. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Kurz vor der Grenze nach Russland, wo sich die grandiose Teufelsschlucht verengt, erhebt sich eine gewaltige neue Kathedrale. Für jeden Besucher, der von Norden kommt (jenseits der Grenze liegt Nordossetien), wird somit klar -  hier regiert nicht nur die georgisch-orthodoxe Kirche, hier ist auch Georgien. In Zeiten von sich bedrohlich schnell verschiebenden Grenzen rund um Russland ist dies ein sichtbares Zeichen für erhoffte Stabilität.   
 
Bei Stepantsminda in Georgien. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Auch wenn Stepantsminda kein Paradies ist, die Umgebung ist es. Wenn die Sonne auf die schroffen Gipfel des Großen Kaukasus' fällt, die Wolken herrliche Muster auf die Hänge zeichnen, wirkt es wie das perfekte Landschaftsgemälde. Im Hotel treffe ich auf Hiker, die eine ganze Woche durch die Berge wandern, schwer bepackt mit Zelt, Essen und Schlafsack. Nicht ohne Guide allerdings, denn regelmäßig verlaufen sich Wanderer auf den kaum gekennzeichneten Wegen und in Höhen, wo es jederzeit zu einem ungemütlichen Wetterumschwung kommen kann. Aber die Berge, die Natur und die Einsamkeit dort droben lockt immer mehr begeisterte Wanderer an.
 
Bei Stepantsminda in Georgien. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Ich aber beschließe, faul zu sein. Ich laufe gemütlich durch die Stadt, schaue mir eine kleine Kirche nahe des Zentrums an, einen alten Bus, der zu einem Café umgebaut wurde, eine alte Brücke, die nur noch bröckelnd über einer Schlucht endet. Ich nehme mir dann auch einen Jeep, der sich langsam den Weg zur Dreifaltigkeitskirche nach oben bahnt, während andere den unwirtlichen Hang nach oben stapfen. Ich genieße vom Berghügel die Aussicht, die meditative Ruhe hier oben und das Spiel der Wolken unter und über mir. Das Leben der wenigen Mönche ist hart, fernab oberhalb des Dorfes, vor allem im Winter. Wenig Luxus, viel Schnee, weite Wege. Aber dafür volle Konzentration auf Gott, der sich bei der landschaftlichen Gestaltung in diesem Gebirge voll ins Zeug gelegt hat. 
 
Bei Stepantsminda in Georgien. Foto: Wolfgang Bürkle
 
Gefleckte Kühe und bröcklige Häuser begleiten den Weg zurück ins Tal. Dort gönne ich mir ein mittelmäßiges Shawarma, dann noch ein Bierchen. Auf dem Hauptplatz hält ein großer Bus, mehr Touristen strömen heraus, die, wenn es die Stadt schon nicht schafft, die Landschaft des Großen Kaukasus verzaubern soll. Gut möglich, denke ich, und bleibe auf der Bank sitzen, mit Blick auf die Dreifaltigkeitskirche auf dem Gipfel, die wieder von Wolken umspielt wird. 
 
Bei Stepantsminda in Georgien. Foto: Wolfgang Bürkle
 
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